Die Frauen der Kamelien-Insel by Tabea Bach

Die Frauen der Kamelien-Insel by Tabea Bach

Autor:Tabea Bach [Bach, Tabea]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Lübbe
veröffentlicht: 2018-01-15T00:00:00+00:00


15

Der Brief

Es war eine Weile her, seit Sylvia Pierrick und seinen Schützling in der Werkstatt besucht hatte. Das wurde ihr bewusst, als sie sich am späten Nachmittag vor ihrer Abreise zum Anleger begab, um nachzusehen, ob die La Brise startklar war, denn die Landbrücke würde am kommenden Morgen überflutet sein. Wie schon so oft würde sie deshalb mit dem Kutter übersetzen. Sie liebte es, ihn über das Wasser zu steuern, und mit Bedauern dachte sie daran, dass sie viel zu selten dazu kam. Wenn es so weiterginge, musste das Steuermannspatent noch lange warten.

In der friedlichen frühsommerlichen See dümpelten die Boote vor sich hin und machten glucksende Geräusche. Da waren Gurvans Motorboot und Pierricks Fischerboot Nimue, mit dem er so gern zum Angeln fuhr, sowie der Kutter La Brise. Sylvia prüfte, ob der Tank gefüllt war, und kontrollierte, so wie Pierrick es ihr beigebracht hatte, routinemäßig den Motor und die Bootsbeleuchtung, denn es würde noch dunkel sein, wenn sie zu ihrer Reise aufbrach. Alles war in bester Ordnung. Statt nun zurück ins Büro zu gehen, beschloss sie, dem Bootshaus einen kurzen Besuch abzustatten.

Obwohl die Tür knarrte, schienen der alte Mann und Noah sie nicht zu bemerken, als sie eintrat. Die beiden standen mit dem Rücken zu ihr an der Werkbank, die sich an der hinteren Wand des Gebäudes entlangzog, und beugten sich konzentriert über etwas, das sie mit ihren Körpern verdeckten. Damit der Junge bis zur Arbeitsfläche hinaufreichte, stand er auf einer Holzkiste. Was auch immer die beiden taten, es beanspruchte ihre ganze Aufmerksamkeit.

Eine Weile sah Sylvia ihnen zu. Die zwei arbeiteten schweigend Hand in Hand. Mal reichte Pierrick Noah ein Stückchen Holz, dann eine Plastikflasche mit feiner Tülle oder ein Werkzeug. Zwischen den beiden herrschte vollkommene Harmonie. Sylvia bereute schon, hereingekommen zu sein. Sicherlich störte sie, und dennoch konnte sie sich nicht entschließen, einfach wieder zu gehen.

»Salut«, sagte sie. Pierrick wandte den Kopf, Noah nahm keine Notiz von ihr. »Störe ich?«

Pierrick legte lächelnd sein Gesicht in Falten und schüttelte den Kopf. »Unser Freund hat geschickte Hände.«

Er wies mit dem Kinn auf die Werkbank. Sylvia trat näher und sah, dass die beiden an einem Schiffsmodell arbeiteten. Noah befestigte gerade einen langen, feinen Streifen Balsaholz auf einer filigranen Rippenkonstruktion aus Miniaturspanten und ließ sich von ihrer Gegenwart nicht im Geringsten ablenken. Pierrick warf ihr einen verschwörerischen Blick zu.

Es war faszinierend, dem Jungen zuzusehen. Sylvia erkannte, dass er den Rumpf des Schiffes um eine Form aus altem, nachgedunkeltem Holz aufbaute, wie ein Schuster in früheren Zeiten einen Schuh um einen hölzernen Modellfuß gefertigt hatte, den Leisten. In einem Regal über dem Arbeitsplatz entdeckte sie noch weitere dieser massiven Holzschablonen in unterschiedlichen Größen und Formen, vielfach benutzt und fleckig von der Berührung zahlreicher Hände.

Nach einer Weile wandte sich Noah zu ihr um und strich sich mit dem Unterarm das Haar aus der Stirn. Es war in den vergangenen Wochen gewachsen und lockte sich in seinem Nacken. Vielleicht sollte ich ihn demnächst einmal zu Fleurette mitnehmen, dachte Sylvia.

»Was wird das für ein Schiff?«, fragte sie.

Noah



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